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AutorenbildIsabel

"Das arme Kind"

Seit einigen Tagen schwirrt mir ein Ausspruch durch den Kopf: "Das arme Kind..."

Den Auslöser, weshalb es mir aktuell immer wieder durch den Kopf geistert, kann ich nicht genau ausmachen.


Es war so: Im Juni 2022 erzählte ich meinen damaligen Kolleginnen, dass ich zum Ende des Jahres kündigen würde, weil wir auf Weltreise gehen. Interesse dafür gab es wenig, Verständnis gar nicht. Eine Kollegin sagte: " Was ist mit Lucy? Die nehmt ihr aus der Schule? Das arme Kind..."


Ich habe mich für diesen Kommentar damals gerechtfertigt. Wenn ich jetzt zurück blicke, ist das absoluter Blödsinn.


Bildung und Lernen ist wichtig - keine Frage. Doch gibt es dafür unterschiedliche Wege.

Das deutsche Schulsystem basiert auf einem Gesetz von 1920.

Die Inhalte der Bildungspläne haben sich selbstverständlich mit der Zeit immer wieder geändert (zum Glück), doch es ist eben altmodisch und unflexibel.


Ich denke, jeder von euch hatte irgendwas, was er in der Schule leisten musste, aber einfach nicht konnte. Beste Beispiele sind da ja Sport oder Musik oder meinetwegen auch Kunst.

Was, du kannst nicht singen?! Egal, trotzdem singst du dieses Lied und machst dich zum Gespött der Klasse. Einem Jungen in meiner Klasse ging es so. Es war jedes Mal ein schlimmes Erlebnis (für Sänger UND Zuhörer), wenn er zur Lied-Kontrolle zeigen musste, dass er nicht fähig war, einen geraden Ton zu treffen. Das war auf dem Gymnasium im jugendlichen Alter, in dem einen sowieso ALLES peinlich ist und die Klassenkameraden sehr ch auch über ALLES lustig machen...


Oder mein ganz persönlicher Hass. Sport: Liegestütze. Kann ich nicht. Muss ich aber. Ich sagte der Lehrerin, dass ich es nicht kann, sie könne mir bitte direkt die 6 eintragen. Nö, so einfach mache sie mir das nicht, ich solle das trotzdem machen. Diskussion hin und her - Liegestütz konnte ich nicht, hab ne 6 bekommen und obendrein noch kräftigen Spott und unangenehme Feelings. Top. Gleiches galt dann einige Zeit später für Kletterstange.


Ich möchte damit nicht sagen, dass jeder alles sein lassen soll, was einem schwer fällt. Bei manchen Dingen ist es durchaus sinnvoll, sich durchzukämpfen, auch wenn man Probleme damit hat. (Kletterstange zählt für mich nicht dazu... Ich kann es immer noch nicht und bin auch echt gut ohne diese Fähigkeit durchs Leben gekommen 😜)

Es gibt aber genug Kinder, die Schwierigkeiten beim Lesen lernen oder Grundrechnen haben. Hier muss man sich durchboxen, weil's wichtig ist. Die Frage ist, wie das Wissen und die Wichtigkeit präsentiert wird. .. und ob sich jedes Kind entsprechend abgeholt fühlt....

Doch leider ist das im Schulsystem so nicht vorgesehen. Es gibt einen strikten Plan. Einen Lehrplan, an den die Lehrer sich halten müssen und der in einer bestimmten Zeit geschafft werden muss.

Wer nun also Problem hat und nicht mithalten kann, fällt hinten runter.

(auch wenn die Lehrer/Innen inzwischen sicher Spielraum haben, den Stoff kreativer zu übermitteln)


Ich denke, dass diese strikte, geradlinige Lehrmethode bei vielen Kindern/ Jugendlichen Blockaden in den Köpfen aufwirft.

Als ich in der siebten Klasse war, habe ich als zweite Fremdsprache Französisch lernen sollen.

Da ist man 13 / 14 Jahre alt. Wenn's bei anderen vielleicht klappt, aber ich hatte absolut andere Dinge im Kopf, als diese "blöde" Sprache!

Und jetzt, im Erwachsenenalter, ärgere ich mich darüber, dass ich damals nicht gelernt habe. Es war eben zu diesem Zeitpunkt für mich einfach nicht der richtige.

Für mich war JEDE Französisch-Stunde ein absoluter Albtraum. Ich gebe zu, dass meine Versetzung aufgrund schlechter Noten in diesem Fach manche Jahre am seidenen Faden hing. Keine Ahnung, ob die Lehrerin mir wirklich helfen wollte, wie sie immer sagte, doch in meinen Augen fühlte es sich damals eher nach Schikane an. Sie rief regelmäßig bei meinen Eltern Zuhause an, bat sie um persönliche Gespräche... Also redeten nun nicht nur die Lehrerin permanent auf mich ein, sondern auch meine Eltern...

Um meine Noten zu verbessern, nahm Frau D. mich öfter (unerwartet und unangekündigt) zu mündlichen Vokabelkontrollen dran... Das Ergebnis war dann genau das Gegenteil, von dem was sie wohl damit bezwecken wollte...


Leider auch ein schwieriger Punkt: Man muss in der Schule lediglich für die nächsten Kontrolle lernen und dann kannste alles wieder vergessen. Das ist doch sinnlos. Wieso kann man nicht "fürs Große Ganze" und in allen Zusammenhängen lernen.

Nee. In der Schule wirst du auf Bulimielernen getrimmt.


Nun, wie dem auch sei - Schulzeit ist für Viele teilweise eine Qual und errichtet Barrieren.

Denn selbst jetzt habe ich einen Groll auf Franzosen!

Ich freue mich auf jedes Land und bin vorurteilsfrei. Doch wenn's um Frankreich und dessen Einwohner geht, fällt mir viel Negatives ein, was mit Sicherheit zum Großteil Blödsinn ist 😉


Vor ein paar Tagen habe ich, passend zum Thema, ein Interviewausschnitt gesehen. In den erklärte Harald Lech, wie er das deutsche Schulsystem sieht und was man in seinen Augen besser machen könnte. Kurz zusammengefasst ist Harald Lech der Auffassung, dass der Unterrichtsstoff nicht praxisnah ist und man vieles am wirklich Leben draußen erklärten und zeigen könnte.

Für die unter euch, die es tiefer interessiert: "Unser Schulsystem ist Mist" gibts auf YouTube.


Wir sehen es ja bei Lucy: Themen, die wir vor Ort gelernt haben, "Geschichte zum Anfassen " oder die Auseinandersetzung mit verschiedenen Ländern, Menschen , Kulturen usw, ist viel nachhaltiger.


Ich glaube, dass vielen von euch sofort Dinge eingefallen, die man in der Schule lernen musste und niemals brauchte.

Aber vor allem sehe ich das Problem in den Sachen, die man im wahren Leben benötigt, aber in der Schule NIE gelernt hat. Auch hier fallen euch sicher schnell einige Themen ein, oder?!


Gefühlt schweife ich gerade etwas ab 😉

Zurück zum "armen Kind"...


Die Frau, die das sagt, hat eine Tochter, die die erste Klasse wiederholte und somit bei Lucy im Jahrgang war. Das Mädchen hatte die nächsten Jahre immer Probleme mithalten zu können, und auch keinen leichten Stand bei ihren Mitschülern und Lehrern.

Ich habe die Kleine selbst kennengelernt (Lucy war eine Zeitlang mit ihr befreundet und die Mädels haben auch oft bei uns gespielt)- und sie ist wirklich pfiffig und hatte immer viele kreative Ideen (meist wenn's darum ging, Blösinn zu machen. Aber egal- kreativ war sie definitiv 😉)! Allerdings passt sie wohl mit ihrem hibbeligen, temperamentvollen Wesen nicht ins deutsche Schulsystem.

Unterstützung von Zuhause war auch wenig zu erwarten, denn die besagte Kollegin hatte abends noch einen zweiten Job, um als alleinerziehende Mutter vernünftig über die Runden zu kommen. (Das so etwas nötig ist, wäre wohl ein weiterer Kritikpunkt fürs deutsche System im Allgemeinen)

Das heißt also, dass die Tochter viel allein war (und sicher auch noch ist ) und sich so durch den Alltag wurschteln musste.

Wann gibts denn hier Familienzeit? Am Wochenende? Naja, klang mir selten so - denn am Wochenende war ja Haushalt angesagt. War ja bei uns auch nicht anders - und ich hatte "nur" einen Job.

Ich finde es traurig, wenn ich bedenke, wie es auch damals bei uns Zuhause lief. Wir hatten wenig Zeit füreinander. Glücklicherweise brauchten wir uns um Schule keine Sorgen machen, das hatte Lucy alles problemlos aus den Ärmel geschüttelt. Doch auch für Spiele am Nachmittag war selten Zeit und noch seltener hatte ich nach der Arbeit Lust auf "Gemeinsamzeit" und wollte lieber meine Ruhe.

Schade, wirklich. Glücklicherweise haben wir gemerkt, dass es SO kein Leben für uns ist und das Wichtigste dabei verloren geht.... Nun genießen wir unsere Zeit als Familie (lassen uns aber auch allen immer etwas Me-Time)


Und wenn man jetzt die Situation der Kollegin und ihrer Tochter bedenkt, stelle ich mir heute die Frage, welches ist denn nun "das arme Kind"?



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